Gewerbeverein sorgt sich um die Zukunft der Stadt

Der Bürgerentscheid ist auf den 27. November angesetzt, doch eine erste Abstimmung hat bereits stattgefunden:
Einstimmig spricht sich der Gewerbe-, Handels- und Verkehrsverein für neue Gewerbeflächen für die Stadt Mühlacker aus, die sich weiterentwickeln müsse,
um den Status quo zu erhalten.

In einer Schwerpunktsitzung haben die Mitglieder klar Stellung bezogen und – unabhängig vom konkreten Standort – eine Werbekampagne für ein neues Industriegebiet angekündigt. Sogar eine formale Abstimmung hatte der Vorstand für das Treffen im Nebenzimmer des Hotel-Restaurants „Scharfes Eck“ anberaumt, deren Ergebnis nach den Wortmeldungen zuvor kaum überraschte: 21 von 21 erschienenen Gewerbetreibenden halten ein neues Gewerbegebiet für zwingend notwendig, wolle Mühlacker seine Betriebe und Arbeitsplätze dauerhaft sichern.

 

Flyer und Plakate sind in der Vorbereitung, während in der Mitgliederversammlung – sozusagen als Einstimmung – die Bedeutung des Votums am ersten Advent für die Zukunft der Stadt unterstrichen wurde. Dabei gab es auch kritische Anmerkungen in Richtung des Gemeinderats, der sich vor einer Entscheidung gedrückt und sie an die Bürger delegiert habe; verbunden mit dem Risiko, dass vor allem die Gegner neuer Flächen zur Urne schreiten und ihre Haltung vertreten könnten. Dabei, so der Tenor, gehe es nicht um ein Wachstum um jeden Preis, sondern vorrangig darum, die Abwanderung von Firmen, die expandieren wollten, zu verhindern und die Arbeits- und Ausbildungsplätze vor Ort zu erhalten. Von einem „gefährlichen Spiel mit dem Feuer“ war die Rede, weil bei einer Ablehnung die Entwicklung Mühlackers auf Jahre hinaus blockiert sein werde. Ein „kleines Erdbeben“ befürchtet für diesen Fall der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald, Markus Wexel, weil, wie er als Gast des Gewerbevereins sagte, andere Kommunen das Verfahren im Mittelzentrum zum Vorbild nehmen könnten.

 

Die Bedeutung neuer Bauplätze für Betriebe betonten unter anderem Marc Seidel, Chef der Firma Geissel in Lienzingen, und Jörg Schüle, Geschäftsführer der Firma Münch, die 2008 in die Waldäcker umzog und an der Goldshaldenstraße Platz für ein neues Wohnquartier machte. Sein Unternehmen, so Schüle, habe bereits Flächen angemietet und darüber hinaus keine echte Möglichkeit mehr, in den Waldäckern, die sich zwischen 1998 und 2014 gefüllt haben, zu erweitern. Marc Seidel, der als Vorsitzender der Industriegruppe Vaihingen/Enz vor einem Stillstand warnte, verwies auf die Standortsuche der Firma Geissel Ende der 1970er Jahre, als man sich, bevor der Umzug aus der Industriestraße nach Lienzingen ermöglicht wurde, bereits mit einer Abwanderung nach Ötisheim oder Illingen beschäftigt habe. Dabei, betonten die Vertreter der beiden Traditionsunternehmen, fühlten sich ihre Betriebe eng mit der Stadt Mühlacker verbunden. Neue Flächen, appellierte Markus Wexel im Namen der IHK, seien kein Zeichen eines unkontrollierten Flächenverbrauchs, sondern eine Notwendigkeit, um Abwanderungen zu vermeiden und den Status quo zu erhalten.

 

Dem Vorurteil, insbesondere Industrie und Gewerbe seien für den viel kritisierten Flächenfraß verantwortlich, hielt Stadtplaner Armin Dauner die Zahlen des Statistischen Landesamts entgegen, wonach gerade 2,5 Prozent der Gemarkung Mühlacker von Gewerbebetrieben beansprucht würden, während über 48 Prozent der Fläche landwirtschaftlich genutzt würden und der Wald fast 30 Prozent einnehme. Der Leiter des städtischen Planungs- und Baurechtsamts, der in der Versammlung des Gewerbevereins die Ausgangslage der Diskussion beschrieb, verwies auf die Beispiele Bretten und Vaihingen, die deutlich größere Gewerbegebiete auf den Weg gebracht hätten, während die Stadt Mühlacker auf eine „gesunde Mischstrategie“ aus Wohnen und Gewerbe setze. Warum nicht Industrie in der Ziegelei ?, wurde Dauner aus der Runde gefragt. Weil hier der gesamte Verkehr eines Industriegebiets durch die Stadt fließen würde, entgegnete der Stadtplaner, der auf die Vorzüge der Industriebrache als Wohnviertel verwies.

 

Wie mehrfach berichtet, wird es beim Bürgerentscheid am 27. November, der analog zu einer Wahl abgewickelt wird, nicht um einen der beiden verbliebenen Standorte – Lug-Fuchsensteige/Biegeläcker oder Hart bei Lienzingen – gehen, sondern um die Grundsatzfrage, ob Mühlacker überhaupt ein weiteres, rund 25 Hektar großes Industriegebiet braucht.

 

Aus Sicht des Gewerbevereins ist das keine Frage. „Das Thema betrifft alle 150 Mitglieder“, machte Vorsitzender Hans-Dieter Slobodkin deutlich, der gemeinsam mit dem Vorstandskollegen Jochen Sämann eine breit angelegte Kampagne des Vereins ankündigte, um das Bewusstsein für die weitreichenden Konsequenzen des Bürgerentscheids zu schärfen. Ansonsten, deutete Slobodkin an, bestehe die Gefahr, dass in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem die Gegner zu hören seien.

muehlacker-tagblatt_e-paper-ausgabe_tagblatt_freitag-16-september-2016